Verantwortung
In diesen Tagen wird oft über das Thema Verantwortung gesprochen. Verantwortung für den Klimaschutz, Verantwortung für die Gemeinschaft, Verantwortung für unsere Zukunft.
Auch in Bezug auf den Haushalt wird das Wort gerne benutzt. Denn dieser Doppelhaushalt für 2021 und 2022, soll die wichtigen Herausforderungen und Aufgaben dieser Stadt finanzieren. Darüber hinaus soll er sogar ein Versprechen einlösen. Das Versprechen der “Schwarzen Null”. Mehr noch, der Haushalt soll uns tatsächlich in einen Haushaltsüberschuss bringen, gerade noch rechtzeitig für eine Kommune in der Haushaltskonsolidierung.
Ein heeres Ziel, eines, für das man bereit ist, viele Opfer zu bringen. Denn viel ist nicht möglich in diesem Haushalt, in dem im Wesentlichen nur Pflichtaufgaben betrachtet werden.
Sicher gibt es große Projekte, die die Stadt benötigt – den Campus, die Masterpläne, auch ein Klimaschutzkonzept und ein Schulentwicklungsplan stehen an. Aber reicht das auch? Und noch viel wichtiger: Hält der Haushalt wirklich, was er verspricht? Anders gesagt: Handelt es sich bei diesem Haushalt um ein Versprechen, oder ist es nicht eher eine unseriöse Wette?
Schauen wir doch einfach genauer hin. Der Haushalt, der uns im Februar vorgelegt wurde, lässt jede Nachhaltigkeit und Seriösität vermissen und war alles, nur nicht transparent. So wichen schon die Papier-Vorlagen vom digitalen Haushalt ab. Ein Lapsus, der mit Blick auf die Personalsituation in der Kämmerei nur vordergründig erklärbar ist. Man solle den digitalen Haushalt betrachten, doch dem fehlte es an Erläuterungen. Also prüften wir, so gut es ging. Und es waren viele kleine Punkte, die uns auffielen, aber eben auch wesentliche handwerkliche Mängel.
So wurden pauschal Positionen gekürzt, ohne dass die rechtlichen und vertraglichen Bedingungen vorher geprüft wurden. Rolle rückwärts aus der Kämmerei im Juni: Mehr als eine Million Euro musste dem Haushalt wieder aufgeladen werden, weil man vor der Übergabe des Haushalts an den Rat die Rückkopplung mit den Fachämtern schlicht versäumt hatte.
Auch die mannigfaltigen Änderungsanträge unserer politischen Wettbewerber an den Haushalt lassen das schmale Plus immer weiter zusammenfallen. Die Schwarze Null rückt in immer weitere Ferne. Man könnte auch sagen, die Gewinnchancen der Wette werden mit jeder notwendigen Änderung schlechter.
Sind die Gründe hierfür nur in den handwerklichen Fehlern zu suchen? Den “Last Minute” Anträgen? Oder waren die Wettquoten schon vorher schlecht? Es gilt die “Treppe von oben zu kehren”, also die Grundlage des Versprechens und der Wette hierauf genauer zu betrachten.
Dabei fällt auf, dass der Haushalt indirekt auf zwei Säulen ruht. So sind die sogenannten “Gewinnanteile verbundener Unternehmen” ein wichtiger Einnahmeposten aus den Eigenbetrieben, im Wesentlichen aus dem Eigenbetrieb Immobilien.
Der Eigenbetrieb Immobilien betreibt und saniert die städtischen Gebäude. Er finanziert sich überwiegend aus den Mieten, die die Stadt Erftstadt an den Eigenbetrieb abführt. Diese Mieten sind schon längst nicht mehr kostendeckend und verhindern damit eine nachhaltige Wertstabilisierung der Immobilien. Zusätzlich zieht die Stadt Erftstadt jedes Jahr 3,65 Mio. EUR als kalkulatorische Zinsen aus dem Eigenbetrieb ab. Das ist grundsätzlich möglich, jedoch wird der Eigenbetrieb mit dieser – nennen wir es – „Ausschüttung“ in ein negatives Ergebnis gebracht, was wiederum weder nachhaltig noch seriös ist, da jedes Jahr ein weiterer Substanzverlust entsteht, nur um einen negativen Kernhaushalt zu stützen. Man stopft also munter Löcher, indem man neue aufreißt. Das führt die Idee eines selbständig wirtschaftenden Eigenbetrieb ad absurdum.
Nun wird gerne argumentiert, dass die Entwicklung und der Verkauf von Grundstücken die notwendigen Mittel generiert. Schon wieder eine Wette!
Im Grunde genommen handelt es sich aber um ein Rennen: Wenn der Eigenbetrieb nur schnell genug entwickelt und verkauft, ist er vielleicht nicht insolvent, bevor der Kernhaushalt ihn durch die Substanz verringerten Ausschüttungen ausgehöhlt hat.
Dabei wird aber gerne vergessen, dass der Eigenbetrieb nur dann finanziell in erheblichem Maße profitiert, wenn die Grundstücke zu einem höheren Preis verkauft werden als sie zu einem früheren Zeitpunkt eingekauft wurden.
Dieses Rennen ist nur schwer zu gewinnen und wir würden nicht darauf wetten, zumal wir seit Jahren zusätzlich unter Personalmangel im technischen Bereich leiden, wie die Orgaanalyse kürzlich wieder festgestellt hat.
Auch ist man in der Gebietsentwicklung oft auf andere Stellen angewiesen. So gibt es die wichtige Bürgerbeteiligung, die ihre Zeit braucht, Gutachten wollen eingeholt werden, obere Stellen wie z.B. die Untere Wasserbehörde um Freigabe gebeten werden…schlussendlich müssen Handwerker und Bauunternehmen gefunden werden. Das ist in den vergangenen Jahren immer schwieriger und nicht zuletzt teurer geworden. Das sieht man auch am Beispiel des Schulzentrums Lechenich, dass sich im Laufe der Jahre und weiterhin zu einer Kosten- und Aufwandsexplosion entwickelt.
Aber wenn man nur mehr Druck macht, neue Entwicklungsgesellschaften gründet, dann könnte es doch sicherlich klappen? Nein, denn auch eine neue Entwicklungsgesellschaft heilt diese Probleme nicht. Es ist und bleibt eine Wette.
Wir finden, die Zukunft und unsere Planung dafür darf nicht auf einer Wette basieren. Erftstadt hat wichtige Herausforderungen vor sich.
Und es hat seit Jahren ein Einnahmedefizit. Neben zu geringer Gewerbesteuer trotz extrem hoher Gewerbesteuersätzen, haben wir auch bald im Rahmen der Einkommenssteuer ein Problem. Denn Erftstadt liegt über dem demographischen Durchschnitt. Man könnte auch sagen, wir sind alt. Und so wird auch die Einkommensteuer mit fortschreitender Verrentung sinken und unser Einnahmeproblem wird immer ausgeprägter.
Gleichzeitig werden unsere Herausforderungen immer größer. Da wäre der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der gerade die jungen Menschen in unserer Stadt besonders trifft. Aber auch die Senioren können oft nicht in barrierefreie Wohnungen ziehen, da diese schlicht nicht existieren.
Wir haben riesige Aufgaben hinsichtlich der Unterstützung und Förderung unserer Kinder und Jugendlichen in und nach dieser Pandemie vor uns. Die Jugendhilfe musste in den letzten Jahren hinter dem KiTa-Ausbau zurückstehen. Auch das muss sich ändern, wenn Erftstadt dem demographischen Wandel etwas entgegensetzen will.
Zusätzlich hat die Organisationsanalyse der Verwaltung aufgezeigt, dass an vielen Stellen strukturell und personell auf- und ausgebaut werden muss. Die konsequente und nachhaltige Umsetzung der Empfehlungen aus der Orgaanalyse ist für viele Jahre die letzte Chance Effektivität und Effizienz in die Verwaltung zu bringen und die Ziele unserer Stadtentwicklung zu erreichen.
Auch die Chancen der Digitalisierung für unsere Schulen, aber auch für die ganze Stadtgesellschaft kann man nur einlösen, wenn alles ineinandergreift.
Hier müssen wir alle zusammenarbeiten – Rat und Verwaltung.
Neben kurzfristigen Verbesserungen müssen wir uns langfristig und nachhaltig ausrichten. Führungskultur und motivierende Zusammenarbeit sind für die Akzeptanz der Veränderungen und die Bürgerorientierung unverzichtbar. Wir benötigen hier einen neuen Geist und Ehrlichkeit.
In Zukunft mit Allen, für unsere Stadt.
Und für unsere größte Aufgabe – den Klimaschutz – reicht nicht nur ein Konzept und auch nicht nur eine Stabsstelle. Hier müssen wir unsere Stadtentwicklung anpassen. Weniger Versiegelung bei mehr Wohnraum. Das bedeutet auch, in neuen Quartieren zu denken, mit vielen Mehrfamilienhäusern und Nähe zu bestehender Infrastruktur. Bebauungsgebiete auf der “grünen Wiese”, die man aufwendig erschließen und mit neuer Infrastruktur ausstatten muss, können wir uns schlicht nicht leisten.
Weder ökologisch noch ökonomisch.
Um Hitzeinseln zu vermeiden, Biodiversität zu fördern und uns auch energetisch unabhängiger zu machen, müssen wir in Dach- und Fassadenbegrünung investieren, das Freiraumkonzept konsequent weiterentwicklen und umsetzen, um unsere Grünflächen schützen. Für unsere Unabhängigkeit und nachhaltige Wirtschaft müssen wir darüber hinaus konsequent Solar- und Windenergie ausbauen.
Unsere Einnahmen müssen steigen. Wir sollten den Campus Rhein-Erft nutzen um nachhaltige Unternehmen zu uns zu locken und mit ihnen und den Bürger*innen ein Konzept – ein Leitbild – für ein neues Erftstadt entwickeln.
Auch junge Menschen müssen eingebunden werden, damit sie Teil unserer Stadt bleiben und uns auf dem Weg in die Zukunft helfen. Nur so machen wir sie zu einem Teil von Erftstadt, den sie auch als Erwachsene nicht verlassen wollen.
Dazu müssen wir aber Prioritäten setzen und die Wette als das enttarnen, was sie ist – ein Bluff.
Die Orgaanalyse der Verwaltung hat einmal mehr deutlich gemacht, dass wir nicht alles gleichzeitig tun können. Wir müssen daher auch entscheiden, was wir nicht mehr tun.
Möglichst zusammen, mit allen Fraktionen.
Der vorliegende Haushalt muss komplett neu aufgebaut werden, damit er tragfähig wird. Derzeit ist er das nicht. Und weil wir als Bündnis 90/Die Grünen unter Verantwortung auch das Schaffen von Nachhaltigkeit und Transparenz verstehen, lehnen wir diese Haushaltswette und damit diesen Haushalt als unseriös ab.
Das Prinzip Hoffnung reicht nicht – wir brauchen ein stabiles Fundament für Erftstadt.
Nachhaltig, seriös und verantwortungsvoll.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Stephanie Bethmann | Fraktionsvorsitzende
Bernd Fritz | Fraktionsvorsitzender