Haushaltsrede 2016

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren:

  • Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen kann dem vorliegenden Haushaltsplanentwurf auch für 2016 nicht zustimmen!
  • Der Entwurf zeigt ebenso wenig wie der letzte Haushaltsentwurf ausreichend nachhaltige Ansätze
  • Die Neuverschuldung für 2016 hat sich gegenüber 2015 um zusätzliche 6 Millionen € erhöht, und liegt in diesem Jahr bei über 15 Millionen €; Unsere Forderung ist deshalb nach wie vor: ohne strukturelle Veränderungen, die  den Haushalt nachhaltig konsolidieren, sehen wir nicht, wie wir zu einem ausgeglichenen Haushalt bis zum Jahr 2022 kommen können
  • Vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden Haushaltsituation erscheint uns das Haushaltssicherungskonzept als eine Art ‚Krücke‘, an der wir von einem Jahr zum nächsten entlanghumpeln, um letztlich doch feststellen zu müssen, dass wir unweigerlich straucheln werden
  • Man kann doch nicht allen Ernstes behaupten, dass man in der immer dramatischer werdenden finanziellen Situation in 7 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt erreichen kann, wenn von einem Jahr zum nächsten der Schuldenstand immer höher wird, das Defizit dramatischer, die Rücklagen kontinuierlich wegschmelzen
  • Ohne abgestimmte Konzepte werden wir GRÜNEN kein Geld freigeben! Wir stellen keine Blankoschecks aus!

Dies ist für unsere Fraktion die zweite Haushaltsrede, die wir hier halten, der zweite Haushaltsentwurf, den wir analysieren.
Das Erschreckende daran ist für uns – und vermutlich auch für alle Erftstädter Bürgerinnen und Bürger, dass sich an unserer Situation nichts zum Guten entwickelt hat.
Wir hätten im Prinzip unsere alte Rede vom Vorjahr nehmen können und ‚copy und paste‘ machen können – so wie mitunter die Neujahrsansprachen der Bundeskanzler – und mal testen können, ob es überhaupt jemandem auffällt.
Aber so amüsant ist die Situation bedauerlicherweise nicht.

Was wir in diesen zurückliegenden 1½ Jahren an politischer Arbeit hier erfahren haben, bestätigt unser Misstrauen gegenüber der Verantwortlichkeit maßgeblicher Akteure in unserer Kommune.

Schwierig ist natürlich zuerst einmal die grundsätzliche Situation, auf die wir keinen Einfluss haben: 
Kommunen müssen Pflichtaufgaben erfüllen, die den Haushalt zunehmend belasten, seien es Sozialleistungen, Bereitstellung von Kitas, Jugendhilfe, Schulträgeraufgaben, Ordnungsaufgaben inkl. Rettungsdienst & Brandschutz, neben Verwaltungsaufgaben und den Tätigkeitsfeldern der Eigenbetriebe – wie Unterhalt der Straßen, von Grünflächen, der Gebäudewirtschaft und Abwasser- und Abfallbeseitigung.

Für freiwillige Aufgaben bleibt da kaum noch finanzieller Spielraum.

Darüber hinaus nimmt das Ungleichgewicht zwischen den Schlüsselzuweisungen des Landes einerseits und der Kreisumlage andererseits weiter zu. Dass hier in den vergangenen Jahren die Schere immer weiter zu unseren Ungunsten auseinanderklafft, ist ein Unding und nicht hinnehmbar. Hier muss eine Umkehr stattfinden.

Genauso wenig ist es hinnehmbar, dass finanzschwachen Kommunen Kosten für die Unterbringung und Integration von asylsuchenden Flüchtlingen nach einem pauschalen Berechnungsansatz aufgebürdet werden, während der Bund mit der ‚schwarzen Null‘ kokettiert. Die tatsächlichen Kosten, die die Kommunen tragen, werden nicht erstattet, stattdessen eine pro-Kopf-Pauschale pro Flüchtling in Rechnung gestellt, unabhängig von den tatsächlichen Kosten – für Erftstadt lagen die Mehrkosten im letzten Jahr laut Berechnung des Kämmerers bei 1 Mio Euro.

Trotz allem kann sich Erftstadt mehr als glücklich schätzen, dass die Willkommenskultur unserer Bevölkerung, die Hilfsbereitschaft der Erftstädter*Innen seit Beginn der Flüchtlingsströme unvermindert anhält. Wäre dem nicht so, könnten wir hier dicht machen.

Allen Ehrenamtlern und privaten Helfern sei an dieser Stelle nochmals nachdrücklich gedankt.

Generell möchten wir an dieser Stelle aber noch einmal auf Folgendes hinweisen:
Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Flüchtlinge sein. Im Libanon beispielsweise kommen auf vier Millionen Einwohner über eine Million syrischer Flüchtlinge, in der Türkei leben ca. 2  Mio Flüchtlinge. Innerhalb von nur 10 Jahren hat sich die Zahl der Flüchtlinge weltweit beinahe verdoppelt von 37 Millionen im Jahr 2005 auf 60 Millionen 2014. Im Zeitalter der Globalisierung rücken Konflikte nun auch vielfach näher an unser Land heran. Deutschland allein wird in diesem Jahr vermutlich eine weitere Million neue Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Die Aufnahme von Schutzsuchenden ist eine menschenrechtliche, völkerrechtliche und humanitäre Verpflichtung, nicht nur weil Deutschland der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten ist. Dieser humanitäre Grundsatz muss sich gerade jetzt bewähren.

Alle Versuche, das Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen oder gar abzuschaffen, weisen wir Grüne entschieden zurück. Die Menschen, die bei uns Schutz suchen, haben einen Anspruch auf ein faires, unvoreingenommenes und zügiges Verfahren und eine menschenwürdige Aufnahme.

Wir haben als Kommune die Aufgabe, Flüchtlingen Unterkünfte bereitzustellen, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren.

Es ist jetzt aber nicht mehr hinnehmbar, dass wir für überteuertes Geld prioritär Übergangswohnheime errichten, statt anerkannten Asylant*Innen feste Unterkünfte bereitzustellen. Die hierfür vom Land NRW bereitgestellten Fördermittel sind eine ausgezeichnete und vor allem finanziell attraktive Gelegenheit, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Diese Chance dürfen wir nicht ungenutzt verstreichen lassen. Dieser Wohnraum soll nicht nur für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden, sondern soll gleichermaßen auch als sozialer Wohnungsbau genutzt werden.

Doch  zurück zu den Kosten:
Es gibt weitere Kosten, die wir nicht beeinflussen können: eine Erhöhung der Personalkosten z.B. , die, wie der Kämmerer vorrechnete, insbesondere in ‚steigenden Kosten der Kindergärten, des U-3 Ausbaus, im Bereich Feuerwehr & Rettungsdienst, im Ordnungsamt‘ begründet sind, aber eben bei über 2 Millionen € liegt.

Bleibt also die Frage:
Welchen Anteil kann Verwaltung und Politik in kommunaler Eigenverantwortlichkeit überhaupt noch gestalterisch bestimmen?

Und hier kommen wir auf den eigentlichen wunden Punkt zu sprechen:
Es hat sich im ganzen letzten Jahr seit Verabschiedung des letzten Haushalts – der auch schon prekär genug war – verdammt wenig getan, was auf einen – wie auch immer – konzeptionellen Ansatz zur Verbesserung unserer Situation schließen ließe.

In Erftstadt wird das Geld rausgehauen, komme was wolle:
Sportplätze werden einer nach dem anderen mit Kunstrasenplätzen ausgestattet. Das hat oberste Priorität. Ohne mit der Wimper zu zucken, werden 1,6 Mio, 670.000 €, 300.000 € dafür locker gemacht, und wenn Sanitär- und Umkleideräume gebaut werden sollen, haut man noch mal 400.000 € oben drauf. Scheint alles kein Problem zu sein.

Auch bei so wichtigen Fragen, ob nun nach 30 Jahren Kulturkampf quer durch die Republik endlich auch eine Gesamtschule in Erftstadt errichtet werden kann, ist die Politik dem anerkannten Elternwillen nicht gefolgt. Chance vertan!
Stattdessen sollen nun 20 Millionen Euro bereitgestellt werden zur Sanierung eines Schulzentrums, dessen Zukunft ungewiss ist. Dass das Schulzentrum in Lechenich sanierungsbedürftig ist, steht außer Frage: aber es muss auch langfristig mit Leben gefüllt werden. Wie soll dies möglich sein, wenn die Schülerzahlen unterm Strich rückläufig sind und trotz eines umfassenden Sekundarstufenangebotes in Lechenich fast jeder vierte Schüler eine auswärtige Schule besucht ?
Dies ist eine ‚mit-dem-Kopf-durch-die-Wand‘ Politik, an der Realität vorbeigeplant.
Und eine Missachtung des Elternwillens ! 

Heikel gleichermaßen die angestrebte Verwaltungsreform.
Was ist seit der Beauftragung in diesem Punkt geschehen? Eine erste rein bilanzielle Begutachtung einer eventuellen Rückführung der Eigenbetriebe in die Kernverwaltung ist in Auftrag gegeben.
Bravo !
Ehrlich gesagt würde ich diese Strukturreform noch gerne als Ratsfrau miterleben!
Von der Grundsatzfrage, ob die Rückführung der EB in den Kernhaushalt überhaupt eine vernünftige Maßnahme sein kann, sind wir immer noch meilenweit entfernt. Aber die Zeit drängt. Man muss dieses Thema forciert verfolgen, nicht in Schubladen vor sich hinschlummern lassen.
Wir GRÜNE jedenfalls werden diesen eingeschlagenen Weg weiterhin mit unterstützen. Denn wir gehen grundsätzlich von finanzsparenden Synergieeffekten aus.
Das Beispiel anderer benachbarter Kommunen zeigt dies eindrücklich.

Wie sieht es mit dem Windpark aus, den Erftstadt bauen will? 
In anderen Kommunen rollt seit zig Jahren der Rubel. Mit Ökostrom konnte man mal gutes Geld verdienen. Hier in Erftstadt aber hat man unfassbar viel Zeit verschlafen, bevor die Sache ins Rollen kam, und noch immer steht kein neues Windrad auf irgendeinem Acker.

Sollte es doch noch dazu kommen, dass sich auch hier kommunale Windräder drehen, wird die Rendite bestenfalls noch im einstelligen Bereich liegen. Einziger Trost bleibt dann, dass es zumindest regenerative Energie ist, die hier produziert wird.
Bei dem Thema Windpark geht es aber um mehr: Es stellt sich die Frage, welche grundsätzliche Haltung unsere Kommune zur Entschuldung einnimmt?
Nach Meinung der GRÜNEN ist es unabdingbar, dass unsere Kommune eigenständig wirtschaftet und Geld verdient.
Dafür soll der Windpark der Beginn sein.

Darüber hinaus aber bestehen noch die Möglichkeiten einer eigenen Energie-Vertriebsgesellschaft, einer Netzbetreiber-Gesellschaft für Strom und Gas; eigene Photovoltaik und Biogasanlagen oder weitere Blockheizkraftwerke könnten Bestandteil dieser Geschäftstätigkeit sein. Wir meinen, dass wir uns nicht verlassen dürfen auf den Sanierungswillen von außen, wir müssen es selber angehen.
Deshalb möchten wir von hier aus allen Beteiligten Mut zusprechen, diesen Weg zu beschreiten, wir GRÜNE werden ihn mit aller Kraft konstruktiv begleiten!
Die Verbindlichkeiten, die in der Vergangenheit angehäuft wurden, müssen abgebaut werden, das sind wir unseren Kindern schuldig!
Schuldenabbau einzig mit Steuererhöhungen erreichen zu wollen, lehnen wir nach wie vor ab.

Stadtplanerisch sind immerhin einige Dinge in Gang gesetzt worden:
Für den Masterplan Liblar sind Fördergelder beantragt. Das ist begrüßenswert. Wir hoffen, dass wir in den Genuss ausreichender Finanzmittel kommen werden und vieles von dem umsetzen können, was das Leben in Liblar verbessert.
Ein Strategiepapier zur weiteren Entwicklung von Bauland liegt auf dem Tisch – wohin die Reise gehen kann wird zurzeit politisch noch diskutiert. Nach welchen Kriterien letztlich dann mehrheitlich die strategische Ausrichtung erfolgen wird bleibt abzuwarten. Für uns GRÜNE sind die Faktoren des Klimawandels dabei genauso zu berücksichtigen, wie die Faktoren des demografischen Wandels – mit anderen Worten ist die Ausweisung von immer weiteren Neubaugebieten unserer Ansicht nach kein Allheilmittel, um Erftstadt voranzubringen. Vordem steht für uns der Fokus auf Innenverdichtung – wir können unvermindertem Flächenverbrauch nicht zustimmen, solange Leerstand in Innenortslagen zunimmt.
Wir sehen das aus stadtplanerischer Sicht gleichermaßen wie aus ökologischer Sicht.

Nichtsdestotrotz begrüßen wir den Anstoß, den Frau Hallstein vorgelegt hat, strategisch an diese Fragen heranzutreten, und nicht kopflos von einer Maßnahme zur anderen zu schreiten – ein explizites Dankeschön dafür!
Auch ein Sportstättenkonzept sollte auf den Weg gebracht werden – so bleibt zu hoffen.

Das ist unbedingt begrüßenswert. Wir müssen weg vom Kirchturmdenken. Wir müssen Erftstadt als Ganzes begreifen. Wir müssen uns den Realitäten stellen und können kein „es war schon immer so und es wird auch immer so bleiben“ als ‚conditio sine qua non‘ zementieren, denn nichts bleibt wie es war. Vieles verändert sich – nicht nur demografisch. Auch die Lebensgewohnheiten der kommenden Generationen ändern sich. Jugendliche haben heute andere Interessen als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Darauf müssen wir kluge Antworten finden.

Unsere Erwartungshaltung ist es, dass ideenreiche Anregungen für eine Verbesserung der Sportförderung in Erftstadt gefunden werden.

Last not least: was in Erftstadt schmerzlich fehlt, ist eine positive Haltung zur Kultur. Kulturelle Einrichtungen werden in unserer Kommune sträflich behandelt und mit einem unfassbaren Furor mitunter sogar zerstört. Diesen Zustand empfinden wir als erschreckend. Es hat in den letzten Jahren so viele zarte Pflänzchen zur kulturellen Fortentwicklung gegeben, die sofort und geradezu erbarmungslos wieder zunichte gemacht worden sind.

Wir möchten an dieser Stelle wiederholt betonen: Kultur ist ein wichtiger Standortfaktor, der großen Einfluss auf das Image einer Kommune und damit ihre Attraktivität hat.
Diese Stadt braucht mehr Konzept und mehr Mut – vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Marion Sand
Fraktionsvorsitzende Bündnis 90 / Die Grünen im Rat der Stadt Erftstadt

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